Elvis im Budokan - nicht bloß eine Legende

   

Über die Episode "Elvis Presley im Budokan"  lassen wir am besten wieder den Zeitzeugen Jürgen Seydel selbst sprechen. Er hat seine damaligen Erlebnisse in einem Interview an Andrea Neitzel weitergegeben. Aus ihrer Feder stammt der folgende Artikel, veröffentlicht in der Frankfurter Rundschau im Jahr 1995. Es ist der wohl best-recherchierteste Artikel über das Zusammentreffen des deutschen Karate-Pioniers mit dem  King of Rock 'n' Roll:

Hier der Wortlaut des Artikels aus dem Jahr 1995:

Elvis Presley, den King of Rock 'n' Roll, kennt jeder. Elvis, den begeisterten Karatesportler, dagegen kaum jemand. "Dabei kam Karate für ihn gleich nach der Musik", sagt Jürgen Seydel. Er muss es wissen: Der Usinger hat Elvis Karate beigebracht, als dieser vor 35 Jahren (Anmerkung: Der Artikel stammt aus dem Jahr 1995) in Bad Nauheim stationiert war.

 Seydel erinnert sich an die erste Stunde. "Um die Meute von Fans abzuhängen, die Elvis ständig belagerten, haben wir uns heimlich in einer Garage getroffen. Da war es saumäßig kalt." Das war am Nikolaustag vor 35 Jahren, am 6. Dezember 1959. Als die Temperaturen immer weiter unter null fielen, trainierten der Usinger Karatemeister und das Rock 'n' Roll - Idol schließlich doch in Elvis' Wohnung in Bad Nauheim. "Wir mussten die Türen mit schweren Teppichen und Möbeln verbarrikadieren, damit wir ungestört üben konnten."

Jürgen Seydel hat den "King" auf eine Weise erlebt, wie ihn nur wenige Menschen kannten: Nicht als um- schwärmten, gefeierten Star, sondern als engagierten Sportler und Privatmann. Nach dem Training hatten sie sich oft stundenlang unterhalten. "Elvis war sehr auf- geschlossen und vielseitig interessiert. Wir haben über alles mögliche gesprochen, über Politik, Literatur, seinen Militärdienst und natürlich über Karate", erzählt Jürgen Seydel. Hingegen seien Musik und Karriere nie Thema gewesen: "Ich habe nicht einmal ein Autogramm."

Der heute 81jährige  (Anmerkung: Der Artikel stammt aus dem Jahr 1995) gilt als "Vater des Karate in der Bundesrepublik. Noch heute trainiert er die jüngsten im Usinger Karatejugend-Dojo und gibt sein enormes Wissen über die japanische Kampfsportart weiter. Das tätliche Training hat ihn jung gehalten. Tadellos schlank und mit kaum einem grauen Haar steht Jürgen Seydel vor einem.

Angefangen hat alles 1955. Damals las er in einer französischen Zeitschrift über den in Deutschland unbekannten Sport und war sofort begeistert. Er reiste nach Paris und erwarb sich erste Grundkenntnisse. Später gelang es ihm, bei einem japanischen Meister zu lernen. Es erwies sich allerdings als ausgesprochen schwierig, Karate in Deutschland zu etablieren. "Die erste Zeit war sehr schwer, der Deutsche Sportbund erkannte uns nicht an und wir bekamen einfach keinen Fuß auf den Boden", erzählt Seydel. 

Um den Sport publik zu machen, griff der Usinger zum "Prominenten-Trick". Er schrieb an Elvis und bot ihm kostenlosen Unterricht an, wenn er ein bisschen für Karate werben würde. Überraschenderweise sagte der Rock 'n' Roller zu und war für die neue Sportart sofort Feuer und Flamme. "Ich hätte ihm gar nicht zugetraut, dass er neben seinem Musiktrubel soviel Energie für Karate aufwendet", sagt Seydel heute.

Er unterrichtete Elvis zweimal die Woche, zusätzlich trainierte dieser täglich mehrere Stunden. Seydel war beeindruckt, wie bescheiden sein prominentester Schüler war - vor allem weil der Karatelehrer merkte, wie sehr der Amerikaner die Glitzerwelt des Showgeschäfts liebte. So habe ihm Elvis erzählt, dass er sich für seine Rückkehr in die Staaten einen schweren Wagen bestellt habe, der außen und innen mit schwarzem Leder verkleidet war. "Er sonnte sich in der Show. Aber in meiner Gegenwart hat er nie geprahlt", betont Seydel. 

Der Star habe stets darauf bestanden, so hart wie jeder andere Karatekämpfer angepackt zu werden. Bein einem Gast-Training in der Bad Homburger Kaiserin-Friedrich- Schule habe ihn ein anderer Karateschüler versehentlich zu Boden geschlagen. Der Amerikaner sei einfach aufgestanden, habe mit einem "Macht doch nichts" alle Entschuldigungen abgewimmelt und habe weitergekämpft. "Elvis konnte unglaublich viel einstecken. Das kam aus seiner Zeit als LKW-Fahrer. Da hat er sich oft geprügelt, hat er mir erzählt."

 

Im Januar 1960 fuhr Seydel mit ihm nach Paris, um ihm dort seinem japanischen Karatemeister Murakami vorzustellen. Seydel staunte nicht schlecht über das Durchhaltevermögen des jungen Rockstars. Obwohl Elvis fast jede Nacht im Lido durchmachte - "er war eine Nachteule, ein richtiges Sumpfhuhn" - stand er pünktlich jeden Morgen auf der Matte, um einmal mehr bei lausiger Kälte im ungeheizten Raum zu üben. Am Ende der Woche bestätigte auch Meister Murakami, dass Elvis ein "ungewöhnlich ernsthafter und talentierter Schüler" sei. 

Bevor das Rock-Idol im März 1960 in die USA zurückkehrte, verlieh Jürgen Seydel ihm den braunen Gurt. Ein Jahr später, 1961, schrieb Elvis seinem ehemalige Lehrer voller Stolz, dass er mittlerweile den schwarzen Gurt trage. Ein halbes Jahr vor Elvis' Tod erhielt Seydel nochmals Post aus Amerika. Darin kündigte der Sänger eine Deutschland-  Tournee an, in deren Verlauf er auch in Usingen vorbeischauen wollte. Anbei lagen Fotos des Karate-Dojos, dass der King in Memphis eröffnet hatte. Zu dem Besuch kam es nicht mehr. Elvis starb, bevor er seinen Plan wahrmachen konnte.

Jürgen Seydel erinnert sich, dass er Elvis einmal gefragt hat, ob er ehrgeizig im Karate sei. "Nein, bestimmt nicht", habe dieser geantwortet. "Aber es ist mehr als nur ein Sport, es kommt gleich nach der Musik. Es gibt kein Hobby, für das ich soviel Zeit aufgewendet habe."


An der "Forschungsstätte" - April 2006


 

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